Wo bleiben die Frauen? oder Haben wir an alle gedacht?

In diesem Blogbeitrag teile ich Erfahrungen, die ich während meiner Rolle als UpTrain-Projektmitarbeiterin und Gleichstellungsmitglied in wissenschaftlichen Forschungszentren gemacht habe. Du erfährst, was eine Persona ist und ich denke darüber nach, warum es eigentlich gar kein Thema sein dürfte, im Jahr 2023 Teilnehmerinnen für eine attraktive höherqualifizierende Berufsbildung auf den Stufen 1 und 3 zu finden. Wenn Du mehr erfahren und tiefer in das Thema einsteigen möchtest, findest Du Links zu Deep Dive-Material und Bildungsinstitutionen, die sich seit vielen Jahren professionell mit den Themen Diversität und Gleichstellung beschäftigen.

Wenn Personas zu „Fleisch und Blut“ werden

Der Start des ersten Durchgangs unserer Fortbildung zum/zur Geprüften Berufsspezialist/in für Elektronik Mobilität rückte im Sommer 2022 immer näher. Ich war sehr gespannt, wer wohl die „echten Menschen aus Fleisch und Blut“ hinter unseren auf dem Papier skizzierten Personas sind. In der Konzeptionsphase hatten wir nämlich besonders viel Mühe in die passgenaue Vorbereitung der Ausbildungsinhalte und in die Entwicklung unserer Personas gesteckt; eine im Bildungskontext typische Vorgehensweise, die in vielen iterativen Schritten eine möglichst realitätsnahe Abbildung der Zielgruppe ergibt.


Aspekt 1: Altersverteilung der Teilnehmenden. Ich freute mich: Perfekt, die Teilnehmenden sind unterschiedlich alt, so wie wir das angenommen hatten.
Aspekt 2: Die Unternehmensbereiche aus denen die Teilnehmenden kommen. Ich freute mich: Perfekt, die Teilnehmenden kommen aus allen möglichen Bereichen in den Verkehrsunternehmen, von Werkstatt Bus, Infrastruktur, Kommunikationstechnik über Signaltechnik und Elektrik war alles vertreten. Genauso wie wir das angenommen hatten.
Aspekt 3: Die Unternehmenszugehörigkeit der Teilnehmenden. Ich freute mich: Perfekt, die Teilnehmenden sind zwischen 0 bis über 16 Jahre bei ihren Verkehrsunternehmen beschäftigt. Genauso heterogen hatten wir das angenommen.
Aspekt 4: Der Anteil von männlichen und weiblichen Teilnehmenden. Ich freute mich nicht mehr. Nicht perfekt, von 23 Teilnehmenden waren 23 männlich. Wir hatten zwar die Vermutung, dass nicht ganz so viele Frauen wie Männer teilnehmen werden. Aber von der Zahl „0“ waren wir dann doch überrascht. Ganz und gar nicht so, wie wir uns das überlegt hatte n. Auf Nachfragen, warum denn keine Frauen rekrutiert wurden, waren die handelsüblichen Aussagen zu hören. Ja, man wolle ja so gerne Frauen dabeihaben. Aber leider, ganz leider sind keine Frauen in den Unternehmen. Weit und breit keine Elektrikerin, Mechatronikerin oder sonst eine Frau, die irgendeine technische Ausbildung hat, die sich als Teilnehmerin für die Fortbildung zur Geprüften Berufsspezialistin für Elektronik Mobilität qualifiziert.


Ich schritt zur Tat und konzipierte einen Workshop

Das wollte ich nicht so stehen lassen. Ich entwickelte gemeinsam die Idee eines Workshops zum Thema „Personalgewinnung von Frauen in den Verkehrsunternehmen“. Wir fragten konkret bei den Verkehrsunternehmen nach, ob und wie sie Frauen als potenzielle Bewerberinnen von technischen Berufen ansprechen. Davon abgeleitet, gestalteten wir eine passende Umsetzung von möglichen Aktivitäten zur Teilnehmerinnen-Rekrutierung. Diese Ergebnisse möchte ich gerne nachfolgend mit Euch teilen. Dabei haben wir mehrere Strategien zu einer erhöhten Sichtbarkeit von Frauen herausgearbeitet, die von Verkehrsunternehmen genutzt werden können:

Mentorinnenprogramme:
Weibliche Führungskräfte bilden in den Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, mit ihren weiblichen Mentees ein Beratungstandem. Sie stehen regelmäßig für Beratungsgespräche zur Verfügung. Das Modell ist eingebettet in ein pragmatisch ausgerichtetes Weiterbildungskonzept, das Seminare zu Gesprächsführung, Präsentationstechniken nur für Frauen und Netzwerkbildung anbietet. Dieses Netzwerk muss z. B. auf der Firmenhomepage sichtbar sein, und kann beispielsweise Testimonials von erfolgreichen Tandems veröffentlichen.

Deep Dive:
Das Mentorinnen Programm für Frauen in Wissenschaft und Wirtschaft berichtet umfassend auf der Homepage
Frauenpower bei den Kölner Verkehrsbetrieben

Rahmenbedingungen wie flexible Arbeitszeitmodelle und Mobile Arbeit:
Durch das Schaffen solcher Rahmenbedingungen wird Frauen eine sowohl berufliche Karriere als auch ein Familienleben ermöglicht. Das gibt es schon bei vielen Verkehrsunternehmen. Insbesondere gilt es zu erreichen, dass junge Frauen den eingeschlagenen Weg in technische und ingenieurwissenschaftliche Bereiche in den verschiedenen Stufen der Familienentwicklung konsequent weiterverfolgen können. Daher braucht es eine lebensphasenorientierte einschlägige Personal- und Organisationsentwicklungsstrategie, die diese Ziele berücksichtigt und Maßnahmen vorsieht, wie das erreicht werden könnte.

Deep Dive:
Prof. Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen, hat umfassende Veröffentlichungen zu diesem Handlungsfeld

Grundsätze der Gleichstellung und Chancengerechtigkeit:
Diese sollten fest in der Unternehmensmission oder im Leitbild verankert sein und dadurch zu einem gelebten Managementprinzip werden. Die Veröffentlichung von realistischen Zielerreichungszahlen. Welcher Bereich hat das Ziel erreicht, offene Positionen in den von Frauen unterrepräsentierten Unternehmensbereichen mit weiblichen Beschäftigten zu rekrutieren?

Beispiel:
Nachhaltigkeitsbereicht der VGF 2021: Langfristiger Anstieg des Frauenanteils von 30%

Stellenanzeigen als Instrument zur Diversitätsförderung:
Auf das Wording in Stellenausschreibungen kommt es an. Es werden unbewusst bestimmte Adjektive bestimmten Geschlechtsstereotypen zugewiesen. Dadurch entwickelt sich ein nicht beabsichtigtes Bewerbungsverhalten von im Unternehmen unterrepräsentierten Personengruppen. Denn Jobsuchende analysieren Stellenanzeigen besonders kritisch, wenn sie nur wenige ihnen ähnliche Personen in einem Unternehmen vermuten. Zum Beispiel werden als typisch männliche Eigenschaften Adjektive wie „analytisch denkend, entscheidungsfreudig, vorausschauend, zielorientiert“ von Bewerber*innen gewertet. Als Gegensatz dazu sind typisch weibliche Eigenschaften „anspruchsvoll, ausgeglichen, geschickt im Umgang mit Menschen“.

Deep Dive:
Die Macht der Worte: Stellenanzeigen als Instrument zur Diversitätsförderung

Bei der Nachbesetzung von offenen Stellen das Kaskadenmodell beachten:
Grundgedanke beim Kaskadenmodell ist es, dass der Frauenanteil einer Qualifikationsstufe sich am Frauenanteil der darunterliegenden Qualifikationsstufe – unter Berücksichtigung der voraussichtlich neu zu besetzenden Positionen – orientieren soll. Das fängt bereits ganz oben und ganz unten an. Auf der obersten Führungsebene in den Unternehmend existiert – sichtbar für alle – Geschlechterparität und eine Doppelspitze: Zum Beispiel leitet eine weibliche Geschäftsführerin gemeinsam mit einem männlichen Geschäftsführer die Geschicke des Unternehmens. Ganz unten in der Unternehmenshierarchie werden gezielt weibliche Auszubildende in den technischen Berufen gesucht. Diese werden – dank eines vorhandenen Mentorinnenprogramms entlang einer Personalentwicklungsstrategie – weitergebildet zur Meisterin, Technikerin, Ingenieurin etc.

Deep Dive:
Gleichstellungsplan von Hereon, einer wissenschaftlichen Forschungseinrichtung der Helmholtzgemeinschaft

Mein Fazit

Die Arbeit hat sich gelohnt: Beim ersten Durchgang des „TIM“ (Technologische Innovationsstrateg*innen Mobilität) können wir eine „TIMMA“ - eine Teilnehmerin begrüßen. 🙂


Autorin

Karin Ruppert-Röhsler

Karin Ruppert-Röhsler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Darmstadt (h_da). Wenn sie nicht gerade spannende Lehrstunden für UpTrain konzipiert, findet man sie vielleicht in Mannheim auf der Bundesgartenschau.